3. Die regionale Reformdiskussion in Frankfurt

3.1. Regionale Kooperation bis 1970 Seitenanfang ]

3.1.1. Zur Entstehung der heutigen Verwaltungsstrukturen Seitenanfang ]

Bild kommt noch
Die territoriale Zersplitterung in der Stadtregion Frankfurt vor 1866. Rot: Freie Stadt Frankfurt. Blau: Herzogtum Nassau. Grün: Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Braun: Kurfürstentum Hessen-Kassel. Gelb: Landgrafschaft Hessen-Homburg. Zur besseren Orientierung sind die heutigen Gemeinde- und Ortsteilgrenzen wiedergegeben.

Bis 1866 war die Umgebung Frankfurts territorial extrem stark zersplittert. Die seit dem frühen 13. Jahrhundert unabhängige bürgerliche Stadtrepublik (Freie Reichsstadt) Frankfurt war umgeben von fünf Monarchien, wohlhabender als diese und ihnen selten in Freundschaft verbunden: das Erzbistum Mainz, das  Herzogtum Nassau (Hauptstadt: Wiesbaden) und die Landgrafschaft Hessen-Homburg im Westen, das Großherzogtum Hessen mit der Residenz Darmstadt in zwei Teilen südlich und nördlich sowie das Kurfürstentum Hessen (Hauptstadt war Kassel) im Osten der Stadt. Zu der großen Zahl beteiligter Staaten kamen gerade im Frankfurter Raum noch viele vom jeweiligen Hauptterritorium abgetrennte Exklaven, die oft nur einzelne Dörfer umfassten, aber die Anzahl der zu querenden Staatsgrenzen multiplizierten.

Das Klima zwischen der Stadtrepublik und den umgebenden Monarchien über Jahrhunderte von Neid, Rivalität und gegenseitiger Ablehnung geprägt. Zu einer ersten echten Bewährungsprobe regionalen Kooperationswillens wurden daher die Verhandlungen über den Bau der ersten Eisenbahnen im Rhein-Main-Gebiet in den 1830er und 40er Jahren.

Durch die preußische Okkupation 1866 verloren außer dem Großherzogtum alle genannten Territorien ihre Unabhängigkeit und wurden als Provinz Hessen-Nassau Teil Preußens. Frankfurt kam somit erstmals seit dem frühen Mittelalter wieder in die gleiche Verwaltungseinheit wie sein Umland.

Die neue Verwaltungsstruktur benachteiligte die Stadt zugunsten der ehemaligen Residenzstädte. Hauptstadt der Provinz Hessen-Nassau wurde nicht Frankfurt, sondern Kassel. Die beiden Regierungsbezirke der Provinz (Kassel und Wiesbaden) entsprachen weitgehend den ehemaligen Gebieten Kurhessens und Nassaus, die direkt in Frankfurt aufeinander trafen. Frankfurt geriet somit auch nach der Annektion wieder in eine administrative Randlage. Frankfurt wurde nicht einmal Sitz eines solchen Regierungsbezirks, sondern lediglich Kreisstadt im Regierungsbezirk Wiesbaden. Durch das Fortbestehen des Großherzogtums Hessen grenzte das Frankfurter Stadtgebiet im Norden und Süden weiterhin an „Ausland“.

Die 1866 von Preußen geschaffene Struktur ist bis heute die Grundlage der Verwaltungsgliederung. Das Großherzogtum (ab 1918 „Volksstaat“) Hessen wurde 1946 zum Regierungsbezirk Darmstadt. 1968 wurde diesem der Regierungsbezirk Wiesbaden angegliedert. 1981 wurde in Oberhessen ein Regierungsbezirk Gießen gegründet. Frankfurt regiert bis heute ausschließlich sich selbst: es ist weder Hauptstadt des von ihm dominierten Bundeslandes noch Sitz einer Bezirksregierung, sondern nur eine von vier kreisfreien Städten im Regierungsbezirk Darmstadt. Einen von Frankfurt aus regierten „Landkreis Frankfurt“ im Umland gibt es nicht.

Dem Zuschnitt der Verwaltungseinheiten und auch der regionalpolitischen Praxis merkt man an, dass Frankfurt erst seit 1946 zu Hessen gehört — und beide Seiten einander bisher nicht wirklich akzeptiert haben: Frankfurt ist bis heute mental ein Stadtstaat geblieben, und die hessischen Regierungen unternahmen viel für die ländlichen Räume Nordhessens, aber wenig zur Stärkung der mit Abstand wichtigsten Stadt im Land.

3.1.2. Eingemeindungen Seitenanfang ]

Zwischen 1877 und 1928 konnte das Stadtgebiet durch Eingemeindungen merklich vergrößert werden. Erst durch die neuen Stadtteile wurde Frankfurt auch zur Industriestadt, was zuvor abgelehnt wurde. Eingemeindungen fanden damals meist freiwillig statt, für Umlandgemeinden war es eine attraktive Möglichkeit, ihrer schlechten Finanz- und Infrastrukturausstattung zu entgehen, sie versprachen sich von einem Beitritt zur Großstadt wünschenswerte Neuerungen wie Gas-, Elektrizitäts- und Abwasseranschluss oder den Bau von Schulen oder Straßenbahnlinien.

3.1.3. Frühe Bemühungen regionaler Kooperation Seitenanfang ]

Versuche der regionalen Koordinierung in der Rhein-Main-Region gab es seit 1900 und dann verstärkt in den 20er Jahren. Sie gingen meist von den größeren Städten der Region aus, ihre Realisierung wurden von Seiten der Landesregierungen verhindert, die durch eine starke Region ihre Machtbasis gefährdet sahen.

1950 forderte der hessische Staatsminister Binder eine kommunale Arbeitsgemeinschaft zur Koordinierung der gemeindlichen Planungen in der Stadtregion. Eine solche entstand nach langer Diskussion 1962 in privatrechtlicher Form („Gesellschaft für Raumordnung im engeren Untermaingebiet“). Sie beauftragte das Planungsbüro Wortmann mit der Erstellung eines Raumordnungsplans. Wortmann prognostizierte einen starken Zuwachs an Einwohnern und Arbeitsplätzen und schlug zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben die Bildung einer Regionalstadt in der Stadtregion Frankfurt vor.

3.1.4. Regionale Planungsgemeinschaft Untermain Seitenanfang ]

1965 entstand daraus ohne eigenes Landesgesetz die Regionale Planungsgemeinschaft Untermain (RPU). Gesetzliche Grundlagen waren das Hessische Landesplanungsgesetz (HLPG) von 1962 und das Zweckverbandsgesetz von 1939. Mitglieder waren die Städte und Kreise der engeren Stadtregion. Die RPU hatte keine Kompetenzen zur regionalen Koordination und zur interkommunalen Zusammenarbeit und musste sich weitgehend auf Planungstätigkeit beschränken. Sie erarbeitete bis 1968 den Regionalen Raumordnungsplan (RROP, Überarbeitung des Wortmann-Plans von 1962), der erste rechtsverbindliche Entwicklungsplan für die Frankfurter Stadtregion. Der RROP enthielt im Gegensatz zum Wortmann-Plan nicht die Bildung einer Regionalstadt. Die Stimmenmehrheit der Umlandpolitiker verhinderte eine Infragestellung der bestehenden Gebietskörperschaften. Man erklärte Gemeinden und Gemeindegruppen zu „Siedlungsschwerpunkten“, wies „Regionale Grünzüge“ aus und konzipierte ein S-Bahn-Netz. Die RPU wurde 1981 aufgelöst.