3.2. Die Reformen der 70er Jahre Seitenanfang ]

3.2.1. Das Regionalstadtprojekt 1971 Seitenanfang ]

Eine Arbeitsgruppe des Frankfurter Magistrats unter Vorsitz von Oberbürgermeister Möller erstellte bis 1971 ein Konzept zur Bildung einer Regionalstadt in der Stadtregion Frankfurt. Diese sollte die einzelgemeindlichen Planungen und Investitionen koordinieren, die „unwirtschaftliche Rivalität im Bereich der Wirtschaftsansiedlung“ (Möller) bekämpfen, die Kernstadt von den Kosten zentraler Funktionen entlasten, die Verwaltung leistungsfähiger, durchschaubarer und kontrollierbarer gestalten und zur Bündelung der Kräfte im Verdichtungsraum beitragen. Anders als bei Verbandslösungen war die Direktwahl der Mandatsträger vorgesehen, anders als bei einer Eingemeindung sollte die Regionalstadt eine „gleichberechtigte und vertrauensvolle Zusammenarbeit“ ermöglichen.

Regionalstadt Frankfurt
Die Abgrenzung der geplanten Regionalstadt in der Variante B3 (mit Hanau). Zur Orientierung sind die heutigen Kreisgrenzen in orange hinterlegt. Das Gebiet mit etwa 1,5 Millionen Einwohnern wäre in nur sechs große Stadtbezirke untergliedert worden. Der Bezirk Mitte wäre mit fast einer halben Million Menschen der deutlich größte gewesen. Deshalb und durch seine Lage wurde er schnell mit der Kernstadt Frankfurt gleichgesetzt, die ihre Dominanz weiterhin sichern wollte.

Nach dem Vorbild Berlins und Hamburgs sollte die Regionalstadt neben der zentralen Regionalversammlung und dem Regionalmagistrat sechs dezentrale Bezirksversammlungen mit Bezirksmagistraten sowie Ortsbeiräte und Verwaltungsaußenstellen auf bisheriger Gemeindeebene besitzen. Die Regionalebene sollte nur die wichtigsten Aufgaben der großräumigen Planung und Gestaltung (FNP, Finanzen, Investitionsplanung, Verkehrsverbund, Flächen) wahrnehmen.

Das Regionalstadtprojekt scheiterte am Widerstand des Umlands, der eigenen Partei, der CDU-Opposition und dem fehlenden politischen Willen der Landesregierung. Die Trennlinie verlief allerdings weniger entlang der Parteigrenzen als zwischen Kernstadt und Umland. Möllers Vision hatte nur wenige inhaltliche, vor allem aber „realpolitische Nachteile“ und konnte weder die Inhaber abschaffungsbedrohter Mandate noch die einen eigenen Machtverlust fürchtende Landesregierung von sich überzeugen. Das Konzept wurde zum „Schreckgespenst“ der Regionaldiskussion, völlig emotionalisiert und nur unter einem destruktiven Verhinderungsaspekt betrachtet.

3.2.2. Die Hessische Gebietsreform 1972-77 Seitenanfang ]

Neben umfangreichen regionalpolitischen Diskussionen kam es in den 70er Jahren auch zur Schaffung administrativer Tatsachen. Durch die Gebietsreform sank die Zahl der Landkreise von 39 auf 21, die der Gemeinden von 2.682 auf 421. Von vormals zehn kreisfreien Städten wurden fünf in ihre jeweiligen Landkreise eingegliedert.

Frankfurt wurde bei der Gebietsreform weitgehend ignoriert, die Reform blieb unvollständig und schuf teilweise schwer nachvollziehbare räumliche Einheiten. Im Gegensatz zu anderen hessischen Oberzentren, die z.T. stark vergrößert wurden (etwa Wiesbaden), wurden Frankfurt nur vier kleine Gemeinden angegliedert, zwei davon sogar freiwillig.

Im Sinne der Stadtregion muss die Gebietsreform eine verpasste Chance genannt werden: die gerade erst neugegründeten Kreise und Gemeinden waren noch nicht etabliert, Strukturen noch nicht verfestigt, die Reformatmosphäre noch zu spüren. Die Abwehrreaktionen im Umland gegen jeden Annäherungsversuch der Kernstadt fielen jedoch dennoch extrem heftig aus. Nach Aufgabe des Regionalstadtprojekts betrieb die Landesregierung, gegen den Widerstand der betroffenen Kreise und Gemeinden, die Gründung eines Mehrzweck-Pflichtverbands, der 1975 Wirklichkeit wurde: der Umlandverband Frankfurt.

3.2.3. Umlandverband Frankfurt 1975 Seitenanfang ]

Anders als die RPU wurde der Umlandverband (UVF) durch ein Landesgesetz gegründet. Das Gesetz war ein Kompromiss der weit auseinanderliegenden Interessen von Kernstadt, Umlandgemeinden und Landesregierung, „aus Einsicht in die Notwendigkeit einer Annäherung, bei gleichzeitiger Furcht vor wirklicher Zusammenarbeit“.

Räumliche Abgrenzung Seitenanfang ]

Der Gebietszuschnitt des Verbands war ein ständiger Kritikpunkt: er enthielt ländliche Räume im Hintertaunus, dafür fehlten bedeutende Vororte an der Mainachse. Der fragwürdige Zuschnitt entstand, weil die Landräte der Kreise Wetterau, Groß-Gerau und Main-Kinzig sich den „Kompromiss“ abhandeln ließen, jeweils nur eine Stadt aus ihrem Kreisgebiet in den UVF lassen zu müssen, anstatt die zur engeren Stadtregion gehörenden Räume Hanau und Rüsselsheim mit einzubeziehen. So kam es zu einer weitgehenden Orientierung an Kreisgrenzen: zwei kreisfreie Städte (Frankfurt und Offenbach), drei komplette Landkreise (Main-Taunus, Hochtaunus, Offenbach), und die drei Einzelgemeinden aus sonstigen Landkreisen (Kelsterbach, Maintal und Bad Vilbel) wurden Mitglieder des Umlandverbands.

Die 43 Mitgliedsgemeinden des UVF hatten 2000 auf 1.427 km² 1,6 Millionen Einwohner, d.h. 25% der Einwohner Hessens auf 7% der Landesfläche.

Aufbau des Verbandes Seitenanfang ]

Der UVF war ein Mehrzweckpflichtverband mit Elementen einer Gebietskörperschaft und besaß drei Organe:

Der Verband finanzierte sich durch eine Verbandsumlage. Diese stieg von 50 Pf./Einwohner 1975 bis 1988 auf bereits 13,85 DM pro Einwohner. Eine weitere Einnahmequelle waren Gebühren.

Kompetenzen: Anspruch und Wirklichkeit Seitenanfang ]

Der UVF hatte gemäß § 3 UFG folgende Aufgaben:

Die Vorschriften des UFG wurden zeit seiner Existenz in Teilen schlicht missachtet, ohne dass der Gesetzgeber dagegen einschritt. Auf die Zuständigkeit für Krankenhäuser und Schlachthöfe z.B. verzichtete der UVF bereits 1978.

Im Bereich der Planung konnte der UVF seine Aufgaben erfüllen. Er erstellte innerhalb von acht Jahren (bis 1987) den größten Flächennutzungsplan der Bundesrepublik, weiterhin den Landschaftsplan als Teil des Flächennutzungsplans, den Generalverkehrsplan 2000 sowie Ende der 90er Jahre den Entwicklungsplan Region 2015. Der Verband plante einen selbst in die Diskussion gebrachten Stadtbahn-Halbring zur Verknüpfung suburbaner Zentren untereinander („Regionaltangente West“) sowie bedeutende Erholungseinrichtungen.

Die vorgesehenen Durchführungs- und Trägerschaftsaufgaben konnte der Verband nur teilweise an sich ziehen. Die Wasserbeschaffung verblieb in der Hand lokaler Zweckverbände. Keine der 37 Kläranlagen ging in die Trägerschaft des UVF über. Der UVF übernahm einige Mülldeponien und Müllverbrennungsanlagen im Verbandsgebiet. Die genannten, von UVF geplanten Erholungseinrichtungen wurden nicht in seine Trägerschaft übernommen, obwohl er 50% der Kosten beisteuerte.

Im Bereich der Koordinierung erstellte der UVF einen GIS-gestützten Umwelt- und einen Standortatlas. Die vom UVF gegründete Wirtschaftsförderung Rhein-Main arbeitete relativ unabhängig vom Verband. Die Koordinierung des ÖPNV übernahm 1995 der räumlich wesentlich weiter gefasste Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV). Eine Bodenbevorratung und eine Abstimmung energiewirtschaftlicher Interessen fanden mangels Interesse der Mitgliedsgemeinden nicht statt.

Bewertung  Seitenanfang ]

Die Verweigerungshaltung der Mitgliedsgemeinden konnte zwar nicht den zwangsweisen Beitritt zum Verband verhindern, wohl aber eine erfolgreichere Arbeit dieser Institution. So wurden zahlreiche vom Gesetz dem Verband zugeschriebenen Kompetenzen nicht an diesen abgegeben. Die Unterstützung durch die Landesregierung war unzureichend, es gab keine Konfliktregelung und unklare Kompetenzabgrenzungen. Auch zwischen Kernstadt und Umlandverband wurden teilweise heftige Konflikte ausgetragen; viele Mitgliedsgemeinden waren mit der "restriktiven" Flächennutzungsplanung  unzufrieden. Die Gemeindekammer war rechtlich notwendig, stellte aber sonst eher ein Hindernis dar. Die Abgesandten handelten im Interesse ihrer Gemeinde, nicht in dem der Region. Die fehlenden eigenen Finanzmittel (Steuereinnahmen) begrenzte die Handlungsfähigkeit des Verbandes.

Trotz beachtlicher Leistungen auf planerischem Gebiet litt der Verband unter einem schlechten Image, galt gemeinhin als „fauler Kompromiss“, als „zweit- oder drittbeste Lösung“.