1.3. Die Region Frankfurt Rhein-Main [ Seitenanfang ]

1.3.1. Bedeutung [ Seitenanfang ]


Die Rheinachse, eine Kette wichtiger Agglomerationen, mit ihren Endpunkten jenseits von Alpen und Ärmelkanal.
Die Region Frankfurt-Rhein/Main gehört zu den bedeutendsten Metropolregionen in Europa. Ein Grund hierfür ist ihre günstige Lage. Das Gebiet liegt im Zentrum der Bundesrepublik und im Mittelpunkt des Rückgrats der westeuropäischen Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur, der Entwicklungsachse, die zwischen ihren Endpunkten London und Mailand im Wesentlichen dem Lauf des Rheins folgt.

Die Region wird häufig als polyzentrischer Ballungsraum beschrieben. Dies ist korrekt, da Städte wie Wiesbaden, Mainz oder Darmstadt starke Nebenzentren darstellen. Anders als etwa das Ruhrgebiet besitzt der Rhein-Main-Raum mit der Stadt Frankfurt aber sowohl im geografischen Sinne als auch aufgrund ihrer die anderen Städte bei weitem überragenden Bedeutung einen klaren Mittelpunkt.

Frankfurt erlebte nach dem 2. Weltkrieg einen Bedeutungssprung infolge der deutschen Teilung und des Wegfalls von Berlin und Leipzig aus der Konkurrenz der deutschen Großstädte. Frankfurt „erbte“ wichtige Zentralfunktionen dieser Städte und wurde erst dadurch von einer Großstadt zu einer internationalen Metropole.

Die genannten Metropolfunktionen waren in Frankfurt allerdings nicht neu, sondern schon seit Jahrhunderten stark vertreten. Erst durch den Zentralismus im preußisch dominierten zweiten Deutschen Reich (ab 1871) konnte Berlin viele dieser Funktionen an sich ziehen. Der Bedeutungsgewinn Frankfurts auf Kosten Berlins kann also auch als eine Art „Rückeroberung“ wichtiger Funktionen gesehen werden.

Die heutige internationale Bedeutung der Region und vor allem der Kernstadt Frankfurt am Main basiert auf den Bereichen Verkehr und Handel.

Die Stadt ist der führende Verkehrsknoten Zentraleuropas. Frankfurt besitzt den größten Fracht- und zweitgrößten Passagierflughafen, den größten Bahnhof und das meistbefahrenste Autobahnkreuz in Europa. Der Flughafen ist mit 60.000 Beschäftigten außerdem der größte Arbeitsplatz in der Bundesrepublik.

Seit dem Mittelalter ist Frankfurt eine bedeutende Messestadt. Die Messe zählt mit 38 Ausstellungen und 2,7 Millionen Besuchern im Jahr zu den größten der Welt. Im Gegensatz zu konkurrierenden Messestandorten (Hannover, Leipzig) liegt die Frankfurter Messe im Zentrum der Stadt.

Die über 400 Jahre alte Börse ist das Herz des Finanzplatzes Frankfurt. Nach New York, Tokio und London ist sie die viertgrößte der Welt. Frankfurt ist neben London der wichtigste europäische Bankenplatz. Die Stadt ist Sitz der Deutschen Bundesbank, der Europäischen Zentralbank und der meisten großen deutschen Geschäftsbanken. 315 Kreditinstitute, davon 175 ausländische, sind in Frankfurt vertreten. Neben den Banken sorgt der Bereich der unternehmensbezogenen Dienstleistungen für eine starke Dominanz des tertiären Sektors.

Trotz des Verlusts zahlreicher Arbeitsplätze ist die Region immer noch ein bedeutender Industriestandort, vor allem in den Bereichen Chemie/Pharma und Fahrzeugbau.

Die sekundären Zentren der Rhein-Main-Region versuchen ebenfalls, in Spezialgebieten wenigstens nationale Bedeutung zu erlangen. So sind etwa Darmstadt als Wissenschaftsstadt im Bereich Forschung und Entwicklung, Mainz als Medienstadt und Wiesbaden als Versicherungssitz etabliert. Die Region ist außerdem Sitz von Bundesbehörden.

1.3.2. Abgrenzung [ Seitenanfang ]

Die Region Frankfurt/Rhein-Main ist nach dem Rhein-Ruhr-Raum der zweitgrößte deutsche Ballungsraum. Eine genaue Abgrenzung fällt schwer, in Literatur und Fachdiskussion existieren zahlreiche Gebietszuschnitte nebeneinander.

Aufgrund der Größe und der polyzentrischen Struktur der Region kann zwischen den beiden oben definierten Bedeutungsebenen von „Region“ noch eine weitere Abgrenzung unterschieden werden:

Ebene 1: Großregion Rhein-Main [ Seitenanfang ]

Die weiteste Definition der Region RheinMain umfasst ganz Südhessen (Regierungsbezirk Darmstadt) sowie Städte und Landkreise in den angrenzenden Bundesländern Rheinland-Pfalz und Bayern. Sie enthält große ländliche Regionen, deren Siedlungsdichte und Verflechtungsgrad deutlich geringer sind als im Kern der Agglomeration.

Der Bevölkerungszuwachs findet seit Beginn der 90er Jahre vorwiegend in diesen Außenbereichen statt, etwa dem Hintertaunus nordwestlich von Frankfurt, der Wetterau im Norden oder dem Vogelsberg im Nordosten. Die betroffenen Orte behalten zwar ihr ländliches Aussehen, werden aber immer mehr zu ausgelagerten Wohngebieten der Metropole. Diese Bereiche müssen also auch zur Region gezählt werden, auch wenn ihr Erscheinungsbild sich sowohl von dem der alten Stadtkerne als auch dem der S-Bahn-Vororte der 70er Jahre unterscheidet.


Übersicht über die Großregion Rhein-Main mit Außenbereichen und Nachbarregionen (gelb), dem engeren Rhein-Main-Gebiet (S-Bahn-Bereich, orange) und dem Frankfurter Stadt-/Vorortbereich (rot). In grüner Schrift die zunehmend unter Siedlungsdruck geratenden ländlichen Räume und Mittelgebirge im äußeren Teil der Region. Die hellgrauen Kreise geben die Entfernung von der Frankfurter Stadtmitte (Hauptwache) an.

Die Großregion reicht etwa bis an den Kranz von Städten und Nachbarregionen, der Frankfurt in einem Abstand von 75 bis 100 Kilometern umgibt: Koblenz, Limburg, Gießen, Fulda, Würzburg, Heidelberg und Mannheim/Ludwigshafen.

Die Abgrenzung des IHK-Forums Rhein-Main orientiert sich dagegen an den bestehenden Landkreisen und birgt deshalb gewisse Ungenauigkeiten. Abgesehen vom naturgemäß unterschiedlich starken Verflechtungsgrad bestehen vor allem im Süden des Gebiets (Worms, Bergstraße) Überschneidungen zum benachbarten Ballungsraum Rhein-Neckar um Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg.

Noch ferner der Realitäten liegt das „administrative Abgrenzungsmodell“, das die Region einfach mit dem Gebiet des Regierungsbezirks Darmstadt gleichsetzt. Dieser entspricht zwar der Planungsregion Südhessen sowie der Europäischen statistischen Gebietseinheit der zweiten Ebene (NUTS-2). Den regionalen Verflechtungsbezügen wird der Zuschnitt des Regierungsbezirks jedoch nicht gerecht. Als Definition der Großregion ignoriert er die rheinland-pfälzischen und bayerischen Regionsteile und ist deshalb ungeeignet. Überhaupt soll in der vorliegenden Arbeit von einer allzu an bestehenden und oft fragwürdigen Verwaltungseinheiten angelehnten Betrachtungs-weise Abstand genommen werden.

Ebene 2: Das engere Rhein-Main-Gebiet [ Seitenanfang ]

Das engere Rhein-Main-Gebiet umfasst im Wesentlichen den S-Bahn-Bereich sowie das Umland der Zentralen Orte am Rande desselben. Dieses Gebiet ist der Kern der Großregion und trotz der großen Ausdehnung durch eine starke Verdichtung und enge funktionale Verflechtung gekennzeichnet. Es entspricht dem in der Bevölkerung gängigen Rhein-Main-Begriff und reicht von Friedberg im Norden bis Darmstadt im Süden, von Wiesbaden und Mainz im Westen bis Aschaffenburg im Osten, mit Frankfurt im geografischen Zentrum (vgl. Karte).

Im Gegensatz zur eben definierten Großregion beschränkt sich diese Ebene auf den eigentlichen Ballungsraum, es fehlen also die dünn besiedelten ländlichen Räume in der Peripherie der Region. Außer der Stadtregion Frankfurt umfasst diese Abgrenzung auch die benachbarten Sekundärzentren mit ihrem jeweiligen Umland.

Im Westen liegen beiderseits des Rheins die beiden benachbarten Landeshauptstädte Wiesbaden (267.000 Einwohner) und Mainz (186.000). Zentrum des Südraums ist Darmstadt mit 138.000 Einwohnern. Östlich von Frankfurt liegt außerdem Aschaffenburg (ca. 60.000 EW). Die Einzugsgebiete dieser Städte liegen naturgemäß vorwiegend auf der Frankfurt abgewandten Seite.

Ebene 3: Stadtregion Frankfurt [ Seitenanfang ]

Die engere Stadtregion besteht aus Frankfurt am Main und seinem Vorortbereich. Außer der direkt benachbarten Stadt Offenbach sind hier keine der anderen Kernstädte des Rhein-Main-Gebietes enthalten - Darmstadt, Aschaffenburg und Wiesbaden/Mainz bilden vielmehr eigene Stadtregionen mit ihrem eigenen Einzugsgebiet. Innerhalb der Stadtregion sind Offenbach, Hanau, Rüsselsheim, Bad Homburg und das 1928 nach Frankfurt eingemeindete Höchst die wichtigsten Subzentren. Aufgrund der hier am stärksten ausgeprägten wechselseitigen Verflechtungen und der im Vergleich zu den weiträumigeren Abgrenzungen noch relativ überschaubareren Zahl der betroffenen Gemeinden ist die Stadtregion Frankfurt die Bezugsebene für die meisten Ansätze zur Regionalreform.

In der Literatur wird selbst zur Abgrenzung dieser Ebene teilweise noch starr an zu großen Verwaltungsebenen festgehalten. So werden in zahlreichen Quellen Frankfurt, Offenbach sowie die sechs angrenzenden Landkreise als Bestandteile der Stadtregion genannt, obwohl hinsichtlich Siedlungsdichte und Verflechtungsgrad nur zwei Kreise vollständig zum Vorortbereich gezählt werden können. Eine gemeindescharfe Abgrenzung ohne Berücksichtigung von Kreisgrenzen führt hier zu brauchbareren Ergebnissen (vgl. Karte).

Die engere Stadtregion, bestehend aus dem Stadtgebiet von Frankfurt am Main (innere rote Linie) sowie 42 Vorortgemeinden. Dargestellt sind die wichtigsten Subzentren sowie Autobahnen (grau), S-Bahn (grün), U-Bahn (dunkelblau) und andere Vorortbahnen (violett).

Die Frage der Abgrenzung der Stadtregion ist jedoch ein sehr umstrittener Bestandteil der ohnehin polemisch geführten Diskussion und wird bisweilen missbraucht, um missliebige Vorschläge zu verwässern. Auch die Kritik des ehemaligen Umlandverbands und des heutigen Planungsverbands Frankfurt setzte, obwohl im Grunde die Abgabe gemeindlicher Kompetenzen bekämpft wird, häufig am Zuschnitt des Verbandsgebiets an.

1.3.3. Die Situation - Aktuelle Tendenzen [ Seitenanfang ]

Die aktuelle Situation in der Großstadtregion ist einerseits von tiefem gegenseitigen Misstrauen, Forderungen, Vorwürfen und offenem Streit geprägt. Andererseits ist bei den meisten Entscheidungsträgern die Einsicht vorhanden, dass die Region nur durch Einigkeit gewinnen kann und dass der gegenwärtige Zustand unbefriedigend ist. Diese beiden Einflüsse hängen miteinander zusammen — mit der Einsicht in die Notwendigkeit einer Regionalreform wächst die Sorge, dass die eigene Gemeinde oder der eigene Landkreis (und damit das eigene Amt) bei einer solchen Reform in Frage gestellt werden könnte. Wegen der heftigen Widerstände potentiell Betroffener gilt die Regionaldiskussion als „vermintes Gelände“ (Ministerpräsident Eichel 1996), das möglichst umgangen wird. Auch die Landespolitik zeigt bisher nur geringes Engagement, nicht zuletzt aus der traditionellen Angst vor Machtverlust an eine „zu“ starke, politisch geeinte Stadtregion.


Die kommunale Verschuldung in der Stadtregion Frankfurt. Die Kernstadt Frankfurt am Main war 2002 mit 2792 € pro Einwohner verschuldet und wurde innerhalb der Stadtregion nur von Hanau (3086 €/EW) übertroffen. Die Stadt Eschborn am westlichen Rand der Kernstadt ist komplett schuldenfrei, die Städte Heusenstamm und Kelsterbach mit 21 bzw. 65 € pro Einwohner nur sehr gering belastet.

Die Kernstadt Frankfurt verliert innerhalb wie außerhalb der Region an Bedeutung. In der Stadtregion verlagert sich „die wirtschaftliche Dynamik in der Region zunehmend in die urbane Peripherie, die im Grunde keine Peripherie mehr ist“ (Schultheis). Untenehmen verlassen die Kernstadt und ziehen in Umland. Als Gründe hierfür werden vor allem Gewerbesteuerniveau, Flächenverfügbarkeit, gezieltes Anbieten günstiger Grundstücke sowie die Mietpreise genannt. Der Gewerbesteuer-Hebesatz liegt in den besonders aggressiv auftretenden Städten Eschborn, Bad Vilbel und Neu-Isenburg teilweise um 200 Punkte niedriger als der in Frankfurt. Eschborn hat seit 1997 das höchste Gewerbesteueraufkommen je Einwohner in Deutschland.

Auch als Wohnstandort verliert die Kernstadt gegenüber der Peripherie. Aufgrund mangelnder Baulandausweisung werden bislang ländliche Regionen in die Zersiedelung einbezogen, die Region verwässert, die Verkehrsbelastung steigt aufgrund der stark verlängerten Arbeitswege der Pendler.

Rangliste der Europäischen Regionen
BIP/Einwohner in %
Durchschnitt aller 213 NUTS-II-Regionen der EU = 100%
1. Inner London 263 %
2. Hauptstadtregion Brüssel 217 %
3. Großherzogtum Luxemburg 194 %
4. Freie und Hansestadt Hamburg 171 %
5. Ile de France (Paris) 165 %
6. Bundesland Wien 152 %
7. Berkshire - Buckinghamshire - Oxfordshire   149 %
8. Regierungsbezirk Oberbayern (München)148 %
9. Region Stockholm 145 %
10. Autonome Provinz Südtirol 143 %
11. Regierungsbezirk Darmstadt (Frankfurt) 142 %
12. Provinz Utrecht 142 %
13. Åland-Inseln (Finnland) 142 %
14. Nordost-Schottland (Aberdeen) 137 %

Die Metropolregion als ganzes verliert im Standortwettbewerb an Bedeutung. In der Rangliste der EU-Regionen fiel Südhessen von 1997 bis 2004 vom dritten auf den elften Platz. Nur noch 78 der 500 größten deutschen Unternehmen haben ihren Sitz in der Region: 1997 waren es noch 90. Durch Fusionen und Verlagerungen verlor Frankfurt in den letzten Jahren zahlreiche wichtige Konzernsitze. Der Bankenplatz Frankfurt verliert an Bedeutung gegenüber London.

Innerhalb der deutschen Städtehierarchie wurde durch die Wiedervereinigung Berlins eine neue Ebene geschaffen, was das bisherige arbeitsteilige System aus vier international ausgerichteten Metropolen (Berlin, Hamburg, Frankfurt, München) verändern wird. Es bleibt abzuwarten, ob sich die anderen drei Städte gegenüber Berlin behaupten können, oder ob sie im Laufe einer Annäherung an ein monozentrisches Städtesystem ähnlich dem in Frankreich auf den Status der dortigen Provinzzentren wie Lyon und Marseille zurückfallen.